Sonntag, 30. Dezember 2007

Acker vor Kirche


„Hier holt er sich die Muckis, mit denen er den Eisplatten die Stirn bietet.“ Ein Satz, der dem Pulverfass den Boden ins Gesicht schlägt. Gemeint war der Kraftraum, den Skiprofi Bode Miller in seinem Wohnmobil installiert hat und in dem er sich für die Rennen aufbaut. Rennen übrigens, die zuweilen über „steile Steilhänge“ führen und bei denen „strahlendblauer Sonnenschein“ herrscht. Bei Damenrennen kann es auch schon mal zu Anzüglichkeiten kommen: „Ein Kurs, der ihr auf den Leib geschrieben ist: flach von oben bis unten.“
In der Hektik der Berichterstattung vergessen die Reporter ja gerne mal all das, was sie über die deutsche Sprache je gewusst haben. Da setzt Thomas Morgenstern in einer Skisprung-Qualifikation „eindeutige Meilenstiefel“, wobei die äußeren Bedingungen „im Prinzip ausgezeichnet“ sind. Da springen zwei deutsche Springer im KO-System gegeneinander: „Ein Deutscher bleibt auf der Strecke. Das Gute ist, dass ein anderer sicher durchkommt.“
Nun ja, jede „Scharte lässt sich ausbügeln.“ Vermutlich nur eine Frage der Bügeleisentemperatur. Und Temperatur kann auch eine kritische Größe sein, wenn ein Nachwuchssportler ersatzweise für eine Staffel nominiert wird: „Wenn man ihn jetzt ins kalte Wasser wirft, kann er sich eigentlich nur die Finger verbrennen.“ Es sei denn, man kennt einen Trick wie Noriaki Kasai: „Der Japaner führt in der Gesamtwertung weiter mit 0,3 Punkten Rückstand.“
„Acker vor Kirche“ klingt wie „Schwerter zu Pflugscharen“, hat aber damit natürlich nichts zu tun. Ronny Ackermann und Björn Kircheisen, aktiv in der Nordischen Kombination, werden das sicher bestätigen, aber wenn Reporter ihre besondere Nähe zu den Sportlern dokumentieren wollen, bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig, als es mit Kosenamen zu tun. Diese leiten sich auch nicht unbedingt aus dem Namen ab (Poldi, Schweini), sondern gerne auch aus anderen Eigenschaften: „Das Milchgesicht bleibt Zweiter.“ Armer Erik Frenzel! Wer von Schanzen springt und 15 Kilometer langläuft, hat so etwas nicht verdient. „Herr Frenzel bleibt Zweiter“ ist das Mindeste, was man da als Respektsbekundung erwarten kann.
Aber wenigstens herrscht keine Unsicherheit bezüglich der Nationalität, denn auch dies kommt schon mal vor: „Das ist die Chinesin Liu, die als zweite Japanerin hier ins Rennen geht.“ Damit gehört vermutlich auch sie zu den bemitleidenswerten Frauen, die ab Mittag auf der Hut sein müssen: „Um 12 Uhr sind wir wieder in Oberhof; dann kommt es zur Verfolgung der Damen.“
Am Ende jedoch ist es wie immer, und das ist beruhigend: „Ein Riesenrennen, meine Damen und Herren, und der Sieger hat gewonnen!“

--
©2007 Julius Moll

Montag, 9. April 2007

Teamwork


Als wieder getrennt werden soll, was nicht zusammengehört, nämlich Daimler und Chrysler, kommt es in einschlägiger B-Klasse-Presse zu intelligenten Schlagzeilen wie "Auto-Ehe vor der Scheidung".
Verdrängen wir mal den irritierenden Gedanken, Auto-Ehe wäre womöglich nicht die Kurzform von Automobilkonzern-Zusammenschluss unter Menschenehe-ähnlichen Bedingungen, sondern die Kurzform von automatischer Eheschließung, beispielsweise immer nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs. Verdrängen wir also diesen Gedanken. Ziehen wir lieber den interessanten Schluss, dass eine Auto-Ehe etwas ist, wobei sich nach der Hochzeit alles ums Auto dreht. Und zu diesem Thema fällt mir ein junges Paar ein, das vor einigen Jahren in einer Fernsehreportage vorkam. Er redete kein Wort, aber sie gab bereitwillig Auskunft, auch zu der Frage, was sie an ihrer Ehe denn besonders schätze.
"Wir machen so viele Dinge gemeinsam."
"Zum Beispiel?"
"Na ja, am Samstag putzt Kalle sein Auto, während ich auf der Rückbank sitze und stricke."
Das ist ja praktisch! Beide gehen ihren Hobbys nach und sind sich doch so nah. Und wenn sie dann nach dem Autowaschen/Stricken nach Hause kommen, gucken sie wahrscheinlich zusammen Fußball, während sie kocht. Abends dann trinken sie gemeinsam ein, zwei Bierchen, während sie putzt.
Man sollte dringend versuchen, diesen Burschen noch mal ausfindig zu machen. Offenbar kennt er einen grundlegenden Trick, den ich nicht kenne. Und man will ja schließlich vermeiden, dass einen die Hektik des Alltags auffrisst. Indem man beispielsweise in der Nachmittagssonne gemeinsam auf der Parkbank sitzt, während sie einkaufen geht.
---
© Julius Moll

Samstag, 7. April 2007

Falscher Planet


Die Schlagzeile auf der Titelseite lautet: "USA und China entschärfen Klimabericht"; der Artikel wird kommentiert unter "Ignorante Politik hilft dem Klima nicht." Eine Seite später ist ein Hintergrundartikel überschrieben mit "Erderwärmung bedroht zuerst die Armen". Dazu allerdings passt sehr gut die Information auf Seite K2, dass der Grundpreis für den neuen Maserati Quattroporte Automatic bei 112.060 Euro liegt. Dankbar erfährt man hier auch, dass "die hydraulische Wandlerautomatomatik von ZF gut mit dem 400 PS starken V8 harmoniert". Wie schön! Entsprechende Information für weniger Betuchte gibt es auf der Seite vorher, wo der "kraftvolle Lastesel für den Großstadt-Dschungel" vorgestellt wird: ein Pick-up mit 143 PS ohne Partikelfilter, aber mit einem nicht zu unterschätzenden Vorteil: "Chrome-Bars rundum stecken das Territorium des Rangers ab, der mit mächtigem Kühlergrill und Allrad alter Schule fast jede Prärie, flachere Wasserläufe und sogar schlammige Baugruben durchpflügen kann".
Das ist wichtig zu wissen. Prärien haben wir im Großstadt-Dschungel Köln nahezu an jeder Ecke.
Misstrauisch habe ich das Erscheinungsdatum dieser Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers überprüft. Es war nicht der 1. April. So bleiben eigentlich nur noch diese Alternativen: Entweder sind zwanzig Jahre Umweltdiskussion spurlos an den Menschen vorbeigegangen, oder es ist nur ein Missverständnis und ich lebe einfach auf einem anderen Planeten. Dann müsste sich allerdings der Zusteller heute Nacht verflogen haben.
--
© Julius Moll

Freitag, 9. März 2007

Der Fluch der fliegenden Dosen



Wenn Steve Jobs verkündet, Apple habe das Telefon neu erfunden und damit einen Techniksprung getan, dann wollen wir mal so tun, als glaubten wir ihm. Insgeheim jedoch beschließen wir, sicher zu sein, wem diese Krone eigentlich gebührt. Ja, ganz recht: John Cornwell aus den Vereinigten Staaten von Amerika (woher sonst?). Dieses Genie hat uns kürzlich geschenkt, worauf wir seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, händeringend warteten: den Kühlschrank, der kalte Bierdosen zum Sofa wirft. Und zwar nach kurzem Druck auf die Fernbedienung.
Haben Sie's? Eigentlich ja, aber Sie wollen es noch nicht so recht glauben? Dann also noch mal zum Genießen (und dazu macht man am besten die Augen zu und stellt sich das Ganze so naturgetreu wie möglich vor). Da sitzt oder lungert man also auf dem Sofa herum, in der Hand die Chipstüte, in der Glotze läuft irgendein Schwachsinn, beispielsweise Alarm für Cobra 11, – und plötzlich ist das Bier alle. Aufstehen und die Chipskrümel auf dem Teppich verteilen?
Aber nicht doch! Einfach die Fernbedienung ergreifen und auf "Neue Dose" drücken. Am Kühlschrank setzt sich ein Mechanismus in Bewegung, der eine gut gekühlte Dose oben aus dem Schrank fährt und einer Art Katapult vorlegt. Dann macht es: "Tock", und die Dose kommt auf anmutiger ballistischer Flugbahn durch den Raum gesegelt und nähert sich in angemessener Geschwindigkeit dem Durstigen auf dem Sitzmöbel. Was bleibt, ist nur noch fangen, vorsichtig öffnen und trinken.
Beim vorsichtigen Öffnen trennt sich übrigens die Spreu vom Weizen. Ausreichend Betrunkene laufen Gefahr, sich nach und nach komplett einzunässen, denn durch das Katapultieren ähnelt das Innere der Dose dem Krakatau kurz vor der Eruption.
Zurück zum Erfinder: Er ist Amerikaner, und von denen wissen wir, dass sie ihre Ideen nicht immer zu Ende denken. Ich sage nur: Bagdad. Auch beim Bierdosen werfenden Kühlschrank ist ein wenig zu kurz gedacht worden. Denn wie soll man die Dosen wieder los werden, wenn man auf dem Sofa sitzt? Zudem droht ständig die Gefahr, dass der Kühlschrank weiteren Nachschub herüber schleudert. Wenn es ganz dumm läuft, gehört der Kühlschrank zu solchen, die bereits per Internet mit dem Supermarkt vernetzt sind und daher nie leer werden, weil der Sensor früh genug meldet, dass der Dosenbestand kritische Werte erreicht. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wann wir das erste Opfer beklagen müssen, das unter einem Berg leerer Getränkedosen zu Tode kommt.
Vielleicht hat Steve Jobs doch Recht: Ein Telefon ist in solchen Situationen ein echter technischer Vorteil: Man kann beim Supermarkt anrufen und die Nachlieferungen abbestellen.
---
©2007 Julius Moll

Sonntag, 25. Februar 2007

0 + 3 = 6



Fachsprache überrascht mitunter – sogar jene, die sie verwenden. So glänzte Reinhold Beckmann kürzlich in der ARD-Sportschau zunächst mit Detailkenntnis. Alemannia Aachen und der VfL Bochum seien zurzeit quasi Zwillingsvereine, so Beckmann, und wiesen identische Punktzahl und Tordifferenz auf. So weit, so gut. Dann aber gab sich Beckmann als Sympathisant der Generation Pisa zu erkennen. Er behauptete nämlich, die Partie Bochum gegen Aachen sei ein typisches Sechs-Punkte-Spiel. Wollen wir mal kurz rechnen: Wenn vor dem Spiel die Punktdifferenz null ist, dann ist die Differenz nach dem Spiel maximal drei. Mehr Punkte gibt es für einen Sieg nicht. Was Beckmann vermutlich meinte: Wenn Aachen drei Punkte gewinnt, kann Bochum an diesem Spieltag nicht auch drei Punkte gewinnen und umgekehrt. Aber selbst bei dieser Betrachtung bliebe es ein Drei-Punkte-Spiel.
Sportübertragungen sind ohnehin ein steter Quell des Unbehagens, wenn man auf den möglichst korrekten Umgang mit Sprache Wert legt. Als Sprachakrobaten erster Güte entpuppen sich ehemalige Sportler, die heute als Reporter ihren Lebensunterhalt verdienen. Wie beispielsweise Frank Wörndl als Eurosport-Kommentator Verben zu unerwartet neuem Leben erweckt, ist beeindruckend. "Der Schein hat also nicht getrügt", resümierte der ehemalige Skifahrer, als die Laufzeit einer Slalomfahrerin bestätigte, was man vorher am Bildschirm beobachten konnte, dass nämlich der Lauf unrund und langsam gewesen war. Nun ja, da die Zeit elektronisch genommen wurde, war sie vermutlich nicht gelügt. Angesteckt hat Wörndl bereits seine neue Mitkommentatorin Martina Lechner. Sie sagt inzwischen Dinge wie: "Die Schweizerin ist rein optisch eine Augenweide." Das ist zweifellos ein Ohrenschmaus – rein akustisch. Oder, um Siggi Heinrich zu zitieren: "Zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig."

--
© Julius Moll

Sonntag, 11. Februar 2007

Seven of Ten



Die Information ist geeignet, das Fett in den Adern verklumpen zu lassen: "Sieben von zehn Deutschen haben einen erhöhten Cholesterinwert." Donnerwetter, das ist schlimm. Da sind ja fast alle krank! Nur noch ein paar Jährchen, und dann haben alle einen zu hohen Cholesterinspiegel. Was dann? Vor allen Dingen, wenn dann alle noch leben sollten und die durchschnittliche Lebenserwartung inzwischen auf knapp 100 gestiegen ist.
Na ja, darüber kann man ja dann immer noch nachdenken. Unterdessen kaufen und essen wir erst einmal die Spezialmargarine, die unsere Werte justiert. Um die Werte ausreichend zu senken, wird es vermutlich nicht reichen – aber dass die Margarinefabrik ihre Verkaufsziele erreicht, schon. Das hält deren Angestellte in Lohn und Brot, was gut ist, denn die können sich dann während der Arbeit nicht ausreichend bewegen und sich zudem fetthaltiges Essen kaufen und so ebenfalls ihre Cholesterinspiegel erhöhen.
Vielleicht ist es aber auch so, dass die Interpretation gar nicht stimmt. Vielleicht haben nicht sieben von zehn einen zu hohen Cholesterinwert, sondern drei von zehn haben einen zu niedrigen. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Vielleicht ist der Grenzwert falsch gesetzt?
Aber wenn das so wäre, dann könnte man sich die ganze Spezialmargarine sparen. Eine grauenhafte Vorstellung.
---
©2007 Julius Moll